Bürgerbewegung Osnabrück – Ein riesen Haufen an Scheiße!

Erneut antisemitische Entgleisungen bei den Osnabrücker Pandemieleugner*innen und eine unglaubwürdige Distanzierung

Regelmäßig berichten wir über Aktivitäten der „Bürgerbewegung Osnabrück“ [sic] und von Woche zu Woche sind wir mehr überrascht und erschrocken zugleich, welche Radikalisierung innerhalb der (Osnabrücker) Bewegung vonstattengeht. Radikalisierung in Form von Sprache, Bild, Schrift und Aktion. Antisemitische Denkmuster sind bereits seit Beginn der Proteste innerhalb der „Bürgerbewegung“ [sic] eine Konstante. Die Enttabuisierung und Verfestigung von Antisemitismus nimmt dabei immer mehr Form an und tritt zunehmend an die Oberfläche. Von der Überlegung, in KZ-Häftlingskleidung auf Kundgebungen zu gehen, gepostete „Judensterne“ mit der Aufschrift „ungeimpft“ (Bild 1) oder die Abänderung von „Arbeit macht frei“ zu „Impfung macht frei“ (Bild 2) . Es werden „geheime Informationen über die Pläne der weltweiten Elite zur Errichtung der neuen Weltordnung (NWO)“ gepostet sowie  Nachrichten eindeutig rechter und antisemitischer Telegram-Kanäle weitergeleitet, wie die von Attila Hildmann, Matthäus Westfal (alias „Aktivist Mann“ – wir berichteten) oder Ken Jebsen (KenFM).

Bild 1: Ungeimpft (Aufkleber in der Osnabrücker Innenstadt)
Bild 2: Impfung macht frei (Posting in der Osnabrücker Telegram-Gruppe)

Neuer Höhepunkt antisemitischer Auslassungen sind Beiträge des Nutzers Carsten Schulz, der z. B. die Echtheit des antisemitischen Terrorangriffs auf die Synagoge in Halle anzweifelt (Bild 3) und den Anschlag und die Morde als „antideutsche Geheimdienstoperation“ betitelt. Kritik und Distanzierung aus der Gruppe: Fehlanzeige. Stattdessen wird mit Schulz weiter diskutiert und sich ausgetauscht.

Bild 3: Posting von Carsten Schulz

Wer ist Carsten Schulz?

Carsten Schulz ist seit dem 21. Oktober 2020 Mitglied der Osnabrücker Telegram-Gruppen, hauptsächlich aktiv ist bzw. war er allerdings seit Längerem in Hannover. Unter anderem ist er der Gründer der „Bürgerwehr Hannover“, die er als Reaktion auf die Silvesternacht 2015 in Köln mit der Begründung ins Leben rief, die Ereignisse hätten gezeigt, dass man sich bewaffnen müsse1. Weiterhin war er Direktkandidat für die Piratenpartei in Niedersachsen und setzte sich für die „Entkriminalisierung von Holocaustleugnern“ ein2. Seine Beteiligung an politischen Parteien offenbart dabei eine wilde Achterbahnfahrt, über die Grünen in den 1980ern, die Piraten in den 2000ern bis hin zu einem abgelehnten Mitgliedsantrag bei der SPD und dem dreimal verwehrten Beitritt zur AfD3. In Bezug auf die Corona-Proteste ist Carsten Schulz Gründer der „Corona Rebellen Hannover“ (Pendant zu der Osnabrücker Telegram-Gruppe „Corona Rebellen MS/OS“), veröffentlicht Privatadressen von Politiker*innen und Namen von deren Ehepartner*innen und ruft in diesem Zusammenhang dazu auf,  „Feuer mit Feuer zu bekämpfen“4. Schulz scheint in Hannover in nahezu allen Telegram-Gruppen inzwischen gesperrt zu sein und sucht daher mutmaßlich in weiteren Gruppen aus dem Spektrum der „Querdenker*innen“ nach Möglichkeiten „Informationen“ zu verbreiten. Neben den Osnabrücker Chats ist Carsten Schulz bspw. auch in Oldenburger und ostfriesischen Gruppen mit ähnlichen Beiträgen unterwegs5.

Carsten Schulz betreibt mehrere Blogs, auf denen er unter anderem das grausame original Tätervideo des Halle-Attentats von 2019 zeigt und die ermordeten Opfer verunglimpft. Das Foto und den Namen einer der ermordeten ziert die Überschrift „Die angeblich ermordete […]“6. Neben der Behauptung, dabei handle es sich um einen Hoax, bot er mindestens einmal ein Abendseminar zu dem Thema an, bei dem er nachweisen würde, dass an der „offiziellen Version des Anschlags kein Wort“ stimmen würde7. Den geständigen Täter Stephan Balliet bezeichnet Schulz als „mit ziemlicher Sicherheit eine gehirngewaschene und mit allen möglichen Techniken manipulierte Marionette“8. Neu sind Behauptungen über angeblich inszenierte Amokläufe und Attentate in der Verschwörungsszene nicht. Insbesondere in den USA werden bspw. Amokläufe an Schulen zu Fakes erklärt. Angeblicher Grund dafür seien beispielsweise Liberale, die dadurch die Debatte über Waffen in den USA zu Ungunsten der Waffenbesitzer*innen verschieben wollten. Dies hat vor allem für Angehörige der Getöteten schwerwiegende Folgen. So werden diese im Nachhinein angegriffen und mit dem Tode bedroht9.

Beiträge seiner zahlreichen Blogs teilt Carsten Schulz freigiebig u. a. im „Offenen Forum Osnabrück“, ohne dass es hierauf eine angemessene Reaktion gibt. Stattdessen folgt auf Schulzes Postings der Privatadresse von Jens Spahn die Rückfrage von „Max“: „Gibt es ne Liste mit allen Privatadressen der beteiligten Verbrecher?“

Die Verantwortlichen der mitgliederstärksten Osnabrücker Telegram-Gruppe (~650 Nutzer*innen) in diesem Bereich versuchen sich ihrer Verantwortung zu entziehen, indem es seit ein paar Wochen einen Disclaimer als Begrüßungsnachricht für neue Mitglieder gibt. Dort heißt es unter anderem:

Sei höflich und tolerant – keine verbalen Attacken. Auf Beleidigungen anderer nicht ebenso beleidigend antworten. Keine rassistischen, sexistischen, oder diskriminierenden Kommentare. Nicht erwünscht und nicht geduldet werden Rassismus, Antisemitismus, Gewalt und Hetze, Beleidigungen, Beiträge die unsere Gruppe spalten sollen. (Nicht toleriert werden) Gerüchte verbreitende Beiträge ohne Quelle und/oder von anonymen Verfassern / Qanon Themen (sowie Themen) wie das Kaiserreich und Friedensvertrag für Deutschland, Vergleiche zum Dritten Reich und ihren damaligen Akteure[sic]. Irrelevante, Unruhe stiftende, beleidigende oder zu weit führende Beiträge und sich daraus ergebene Diskussionen werden ggf. kommentarlos gelöscht.

Die vielen dokumentierten und unwidersprochenen Beiträge innerhalb der Gruppe zeigen deutlich, um was für ein inhaltsloses Lippenbekenntnis es sich bei der Formulierung handelt. Dabei geht es um Vergleiche des neuen Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933, Vergleiche der eigenen Leute mit (ermordeten) Widerstandskämpfer*innen wie den Geschwistern Scholl oder Anne Frank, Vergleiche von nicht-maskenfrei einkaufen zu können mit dem Nazi-Credo „Kauft nicht bei Juden“ und die oben genannten Holocaustrelativierungen. Beleidigungen und Hetze werden toleriert und gefördert, solange es um Andere geht.

In der Begrüßungsnachricht heißt es weiter:

Diese Gruppe wurde ursprünglich von der Bürgerbewegung Osnabrück (BBO) gegründet. Diese Gruppe ist offen und so groß geworden, dass die Inhalte dort teilweise mit der Bürgerbewegung Osnabrück nicht mehr konform geht[sic], so dass wir uns zu einer Trennung entschieden haben und die Bürgerbewegung Osnabrück sich von dieser Gruppe distanziert.

Wer distanziert sich hier eigentlich von wem oder was? Wer soll diese BBO sonst sein, wenn nicht der Zusammenschluss der Telegram-Gruppe, der Szene und den Teilnehmenden der Kundgebungen? Es handelt sich bei der BBO nicht um einen geschlossenen Kreis an Menschen, sondern um ein Konglomerat derjenigen, die in Osnabrück offen oder im Hintergrund gegen die Coronamaßnahmen protestieren und zunehmend eindeutige antisemitische und rechte Forderungen von sich geben. Zweifelsfrei gibt es innerhalb der Bewegung einen harten Kern. Einige dieser Akteur*innen haben wir in andere Beiträgen bereits näher vorgestellt. Soll die genannte BBO etwa der Kreis der Administrator*innen der Gruppe und der anderen Gruppen sein? Diese sind fast seit Beginn der Proteste und dem Bestehen der Gruppe(n) unverändert und auch nach dem Erstellen des Disclaimers nahezu gleich. Ein aktives Handeln, das eine Distanzierung glaubwürdig gemacht hätte, fand nie statt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die gewählte Formulierung eine öffentliche Benennung der Inhalte und die Benennung der Verantwortlichkeit dieser Inhalte erschweren soll. Ihnen geht es ausschließlich um die Wahrnehmung von außen und keinesfalls um eine glaubhafte Distanzierung. Diese geschieht durch Taten und nicht durch Worte. AfDler*innen, Reichsbürger*innen oder andere Nazis und deren Inhalte sind in der Gruppe nach wie vor vorzufinden. Eine offene Tolerierung und Mitwirkung dieser findet bei Telegram statt, aber auch auf der Straße bei ihren Kundgebungen. Hierfür gibt es dutzendfache Belege, zuletzt die Teilnahme von Florian Meyer (ehemaliger AfD-Vorsitzender) bei der „Mahnwache für die Opfer der Coronamaßnahmen“ am 23.11.2020 oder die mehrfache Teilnahme von Alan Dötzel (selbsternannter Listenkandidat der AfD) bei verschiedenen samstäglichen Kundgebungen.

Egal ob sie sich „Bürgerbewegung Osnabrück“, Corona-Rebell*innen, Querdenker*innen oder wie auch immer nennen, egal in welchen der verschiedenen Telegramgruppen sie sich bewegen oder Inhalte posten, egal ob sie auf die Straße gehen oder reine Online-Aktivist*innen sind; sie werden immer der gleiche Zusammenschluss sein, den wir benennen und in die Öffentlichkeit bringen. Jede*r Einzelne wird sich an dem messen müssen, was um sie herum passiert. Wer mit Antisemit*innen, Nazis, Reichsbürger*innen oder Verschwörungsanhänger*innen Seite an Seite steht, um ein vermeintlich gleiches Ziel zu verfolgen, wird als Einheit und Gleiches (an)gesehen. Solange, bis eine glaubwürdige Distanzierung erfolgt ist.

Wir alle sollten die Bewegung als das begreifen und benennen, was sie ist: Durch und durch egoistisch, skrupellos, (gesundheits-)politisch gefährlich und in großen Teilen menschenverachtend und antisemitisch. Die Bewegung und ihre Anhänger*innen gehören gesellschaftlich, politisch und individuell bekämpft oder zumindest isoliert.

  1. https://www.vice.com/de/article/78knnx/rohrkrepierer-buergerwehr-4839 []
  2. https://www.sueddeutsche.de/politik/antisemitismus-in-der-piratenpartei-rechter-pirat-darf-in-der-partei-bleiben-1.1334544 []
  3. https://www.vice.com/de/article/78knnx/rohrkrepierer-buergerwehr-4839 []
  4. https://twitter.com/OlRnn/status/1304738476869419008 []
  5. https://twitter.com/OlRnn/status/1330928923778093058 []
  6. wir verzichten hier ausdrücklich auf die Benennung der Quelle um dieser Theorie keine Plattform zu bieten. Insbesondere da dort Namen und Fotos der Opfer sowie das Original-Tätervideo dargestellt werden []
  7. https://twitter.com/StellaBugatti/status/1304805459178725376/photo/1 []
  8. siehe Anmerkung 6 []
  9. https://www.welt.de/vermischtes/article176655732/Verschwoerungstheoretiker-Schulmassaker-war-nur-Theater-Eltern-verklagen-Alex-Jones.html []

Wie Pandemieleugner*innen an ihre Atteste kommen und die Folgen für uns alle

In der aktuellen Berichterstattung der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) wird über die negativen Erfahrungen berichtet, die Menschen mit einem Attest zur Befreiung der Maskenpflicht, zum Beispiel beim Einkaufen, gemacht haben. So wird in der Ausgabe vom 8. Oktober von einem 34-Jährigen berichtet, der trotz einer Befreiung im Media Markt nicht oder nur erschwert einkaufen konnte. In der Ausgabe vom 11. Oktober berichtet die NOZ von weiteren Betroffenen, die sich der Redaktion gemeldet haben. Auch bei der Antidiskriminierungsstelle der Stadt Osnabrück würden sich Beschwerden darüber häufen. 
 
Für den schwierigen und sicherlich auch teilweise inakzeptablen Umgang des Einzelhandels gibt es allerdings auch nachvollziehbare Gründe. Seit Beginn der Pandemie regt sich Widerstand gegen die cononabedingten Maßnahmen, wie der Maskenpflicht in bestimmten Lebensbereichen. Die Fokussierung dieses Widerstandes bündelt sich in selbsternannten „Bürgerbewegungen“, „Querdenken“-Initiativen oder anderen teils konspirativen Zusammenschlüssen, über deren Umtriebe in Osnabrück wir regelmäßig berichten. Innerhalb dieser Zusammenschlüsse werden Erfahrungen zur Umgehung der vorgeschriebenen (und in großen Teilen nachvollziehbaren) Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ausgetauscht. So werden dort u.a. Empfehlungen ausgesprochen, welche Ärzte in der Region besonders attestfreudig wären und welche nicht zu empfehlen seien. Diese werden dort namentlich genannt. Außerdem wird sich über Symptome ausgetauscht, die man gegenüber Ärzt*innen schildern sollte, um die Chancen einer Maskenbefreiung zu erhöhen. Empfohlen werden Symptome von Atemwegserkrankungen, aber auch das Behaupten oder Schildern von traumatischen Erlebnissen. So schildert einer der Administratoren der Telegram-Gruppe und Hauptorganisator der Osnabrücker Protestbewegung Juan-Claudio Bedla, wie er seine Befreiung erhalten hat: „Meine Befreiung ist psychischer Natur. Ich hab einfach gesagt, mein Stiefvater hat mich früher mal geschlagen und den Mund zugehalten. Seitdem hab ich Trauma, wenn ich irgendwas vor dem Gesicht habe. Ob es ein Visier ist oder Mundschutz ist. Ich krieg dann Panikattacken und kann einfach nicht dieses Ding tragen. Joa, hab dann Attest bekommen. Beim Hausarzt und nicht beim Psychologen“ (Sprachnachricht in der Telegram-Gruppe am 7.9.2020). Unabhängig vom Wahrheitsgehalt seiner Aussage handelt es sich bei dem mannigfaltigen Austausch über die Maskenbefreiung um eine Pervertierung realer Bedürfnisse einzelner Betroffener. Und das nicht nur beim Einkaufen. 
 
An der Kundgebung der Osnabrücker „Bürgerbewegung“ [sic] am 31. Oktober rund um den Hauptbahnhof nahmen etwa 250 Personen teil, von denen etwa 100 Personen den mäßig bemühten 15 Beamt*innen der Polizei ein Attest vorgezeigten und sich daraufhin ohne Maske mitten unter die Kundgebung mischten. Ein ähnliches Verhältnis trifft auf fast alle derzeit stattfindenden Corona-Demonstrationen zu. Auf der Kundgebung auf dem Ledenhof, eine Woche zuvor, bot sich ein ähnliches Bild. Von den etwa 100 Teilnehmer*innen ließen sich gut die Hälfte durch ein Attest von der Maskenpflicht polizeilich befreien. In Leipzig nahmen am vergangenen Wochenende etwa 20.000 Menschen teil. Das Abstands- und Maskengebot wurde dabei massiv verletzt. Erst nach etwa zwei Stunden nahm die Polizei dies zum Anlass, die Versammlung aufzulösen. Dies hatte ein unkontrolliertes Fluten der Stadt zur Folge und wurde von der Polizei toleriert. Ob Osnabrück oder Leipzig; diese Menschen gehen nach den Kundgebungen wieder zurück in ihren Alltag, wie Familie oder Beruf, und verbreiten eine mögliche Infektion weiter. Eine Nachverfolgung von Infektionsketten, nach solchen Ereignissen wie in Leipzig, ist unmöglich. Zudem ist eine aktive Mitwirkung der Beteiligten nicht zu erwarten. 
 
Innerhalb der Telegram-Gruppe der „Bürgerbewegung“ [sic] werden Videos, Bilder und Audionachrichten ausgetauscht, in denen Reaktionen von Verkäufer*innen provoziert und dann skandalisiert werden. Auch hier werden Beteiligte namentlich genannt. Ob mit oder ohne Attest werden Geschäfte ohne MNS betreten, um im Anschluss zu schildern, wie die Reaktionen ausfielen. Geschäfte werden empfohlen oder, wenn diese auf eine Maske bestehen, zum Boykott aufgerufen. Solche Aktionen und der inflationäre Umgang mit den Attesten ist der Grund, weshalb die real Betroffenen so Schwierigkeiten bekommen, ihren Alltag zu bewältigen und das macht uns wütend. Ebenso werden wir alle uns bei ihnen „bedanken“ können, wenn die Corona-Maßnahmen erneut erweitert werden und z.B. das Versammlungsrecht eingeschränkt wird. Als Reaktion auf die, auch gewalttätigen, Vorkommnisse in Leipzig, werden in Sachsen zukünftig Versammlungen auf 1000 Menschen begrenzt. Andere Bundesländer planen ähnliche Begrenzungen. Auf solche Verschärfungen reagiert die Szene kreativ und erklärt ihre Versammlungen zu einem Open-Air-Gottesdienst (München am 2.11.) oder widmet sich in Selbsthilfegruppen um, um sich so auflagenfrei versammeln zu können. Eine staatliche Reaktion darauf wird mit weiteren Einschränkungen – für alle – folgen. 
 
Wir alle schränken uns gerade ein, um die Auswirkungen der Pandemie kleinzuhalten und Risikogruppen zu schützen. Wir verzichten auf private Treffen, auf Partys, Konzerte oder Besuche von unseren Familien und Freund*innen, während wöchentlich mehrere hunderte oder tausende Menschen öffentlich und unter Aufsicht der Behörden Coronapartys feiern. Das produziert Kopfschütteln, Frust und sicherlich große Abneigung bis hin zu tiefer Verachtung. Nicht nur bei uns! 
 
Unser Mitgefühl gilt den Menschen, die unter dieser zutiefst unsozialen und egoistischen Bewegung und deren Auswirkung leiden; dazu gehören ausdrücklich auch die Beschäftigten des Einzelhandels.

Recherche zu Tanja Bojani und Dirk Frühauf

Im Rahmen unser Veröffentlichungen über einzelne Akteur*innen der lokalen Anti-Corona-Szene werden wir hier zwei weitere Aktive vorstellen. Nachdem wir im vergangenen Text u.a. den Osnabrücker AWO Sozialarbeiter Hannes Henkelmann porträtiert haben, widmen wir uns nun der Linken-Abgeordneten Tanja Bojani und dem Dachdeckerunternehmer Dirk Frühauf.

Tanja Bojani

Tanja Bojani machte 2018 Schlagzeilen in Osnabrück, weil die Bramscherin, die 2016 als AfD-Abgeordnete in den Osnabrücker Kreistag gewählt wurde, im September 2018 ihren Wechsel in die Fraktion der Linken bekanntgab. Schon hier wurde klar, dass ihre politische Ausrichtung irgendwie nicht so richtig zu fassen ist. Das bestätigt sich nun einmal mehr, da sie auch seit Beginn bei der jetzigen „Bürgerbewegung Osnabrück“ dabei ist. Bereits Anfang Mai war sie bei einer Veranstaltung am Osnabrücker Theater mit einem Schild mit der Aufschrift „Corona-Diktatur“ zu sehen. Mittlerweile ist sie fast immer auf den samstäglichen Kundgebungen anwesend, betreut Infostände, verteilt die Flyer der „Bürgerbewegung“ und sammelt Spenden für deren zweifelhaften Zweck. Dies ist zum Beispiel dokumentiert in einem Live-Video auf dem Kanal „Aktivist Mann 2.0“ bei einer Kundgebung am 17.10.2020 vor dem Hauptbahnhof Osnabrück1. Moment mal, wer ist nochmal Aktivist Mann? Dazu hat das Recherche Kollektiv Ostwestfalen in einer lesenswerten Recherche Folgendes veröffentlicht:

Aktivist Mann: Sektierer und biologistischer Rassist aus OWL. Matthäus Westfal aka. Aktivist Mann wurde bekannt durch sein Youtube Video, in dem er sich aktiv am „Sturm auf den Reichstag“ beteiligte. Er kann sein Glück kaum fassen, als er zusammen mit Holocaustleugner Nikolai Nerling aka. der Volkslehrer, zahlreichen Rechten, Reichsbürgern, Corona-Leugnern und anderen Reaktionären die Treppe zum Reichstag hochrennt. Westfal ist ein christlich-fundamentalistischer Sektierer, der seit mindestens 5 Jahren sowohl im evangelikal-fundamentalistischen Spektrum, als auch im Dunstfeld der AfD und der geschichtsrevisionistischen und neonazistischen Szene aktiv ist2 Bojani scheint Westfal zu kennen, freut sie sich doch sehr über die Anwesenheit des Youtubers und nennt ihn liebevoll „Schatz“.

Auf Kundgebungen und Demos der „Bürgerbewegung“ und von „Eltern stehen auf Osnabrück“ betätigt sich die partyfreudige Reggae-Liebhaberin Bojani auch gerne mal als Sängerin, indem sie den für Corona-Leugner abgewandelten Song „Maskenlos durch die Stadt“ trällert.

Bei Telegram ist Bojani unter dem Namen „Mieze Katze“ seit Mai in diversen Osnabrücker Gruppen unterwegs und fügt dort fleißig neue Mitglieder aus ihren Kontakten hinzu, unter anderem Florian Meyer (ehemaliger Vorsitzender AfD Osnabrück, ebenfalls zu Beginn bei den Kundgebungen anwesend), Thorsten Wassermann (ehemals BOB, auch in den Telegram-Gruppen aktiv) und Andreas Maurer (Die Linke Kreisfraktion). Alle 3 sind im Übrigen noch immer Mitglieder in der Telegramgruppe. Bojani füttert die Telegramgruppen regelmäßig mit den anstehenden kommunalpolitischen Terminen von Verwaltungs- und Ratssitzungen, um auf die Möglichkeit eines dortigen Protestes aufmerksam zu machen. Außerdem teilt sie fleißig Beiträge von KenFM3, dem Deutschland-Kurier (rechtspopulistische Publikation, seit 2019 auch auf Youtube vertreten), Rubikon (Verschwörungs-Onlinemagazin), dem neurechten Compact-Magazin, der Zeitschrift „eigentümlich frei“, der rechten Propagandaschmiede NuoViso.TV4, sowie von AfD Mitgliedern und dem rechten Youtuber Tim Kellner.

In ihren Telegram-Sprachnachrichten wünscht sich Bojani, dass doch nun endlich einmal aufgehört würde mit den Benennungen „links“ und „rechts“, was sich nicht zuletzt in ihrer Fraktionszugehörigkeit widerspiegelt. Ihre Überzeugungen scheinen sowohl mit der AfD als auch der Partei Die Linke genug übereinzustimmen, um dort keinen großen Konflikt zu erkennen. Als die gelernte Kosmetikerin 2015 bei den Sicherheitskräften in einer Geflüchtetenunterkunft arbeitete, habe sie Dinge mitbekommen, die sie nicht in Ordnung fand. „Dass da Leute aufgenommen worden seien, die gar keine Hilfe verdient hätten.“ So sei sie zur AfD gekommen.5

In weiteren Telegram-Sprachnachrichten lässt sie sich über den vermeintlichen Entzug der Grundrechte aus, vordergründig stört sie sich am „Maskenzwang“ in Läden und Bussen, ein ebenso großes Anliegen scheint ihr aber der ungewollte Verzicht auf Partys und Konzerte zu sein („Normalerweise müssten hier bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen, allein schon weil den Leuten die Party fehlt […] wenn man mir monatelang die Partys wegnimmt,[…] dann ist Krieg“). Ihrer Meinung nach „fängt es wie ’33 an“, als nächsten Schritt vermutet sie „Umerziehungslager“ für Menschen wie sich selbst, die das Maskentragen ablehnen und die Existenz einer Pandemie anzweifeln. Generell verstehe sie nicht, was das überhaupt alles solle.

Dirk Frühauf

Ein weiterer engagierter Akteur in der „Bürgerbewegung Osnabrück“ [sic] ist Dirk Frühauf, Inhaber der erfolgreichen Osnabrücker Dachdeckerei „FrühAufsDach“. Auch er ist fast seit Beginn in der Gruppe dabei und häufig bei den Spaziergängen und Kundgebungen anwesend, auch bei unangemeldeten Aktionen. Das ehemalige CDU-Mitglied warb im März damit, sich für die damals neu entstehende Partei „Widerstand 2020“ einzusetzen. Frühauf ist engagiert dabei, für Vernetzung zu werben und zu fordern, dass man „doch nun endlich auf die Straße gehen soll!“ Auf der Straße erkennt man ihn dann jedoch vor allem daran, dass er sich unauffällig im Hintergrund hält und versucht, Ereignisse zu filmen und zu fotografieren. Außerdem scheint er Selfies mit Akteur*innen der Bewegung wie Michael Ballweg, dem Begründer von Querdenken und Matthäus Westfal (s.o.) zu sammeln. Letzterer bekommt von ihm viel unkritische Zustimmung.6

Relativ früh begann der Unternehmer, auf eigene Kosten weiße T-Shirts bedrucken zu lassen – als Motiv dient auch hier ein Ablehnen der Kategorien „rechts, links, Verschwörungstheoretiker…“ – er sei lediglich „mündig, Querdenker und ein Mensch“. Hier fehlt wieder, wie so häufig, die tatsächliche Auseinandersetzung mit Inhalten (und Ästhetik). Die T-Shirts werden von der Osnabrücker Reisegruppe auf Auswärtsfahrten zu Demonstrationen in ganz Deutschland gern getragen, so trat beispielsweise auch Christoph Gringmuth darin am 01.08. in einer dubiosen Talkshow zum Thema „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“ auf.78

Frühauf gehört auch zu denjenigen, die Falschmeldungen über Kinder verbreiten, die angeblich am Tragen eines MNS verstorben seien.

Dirk Frühauf ist gerne und viel aktivistisch überregional und sogar international unterwegs. Seien es Hygienedemos zu Beginn der Pandemie auf Mallorca (anscheinend ist das 17. Bundesland auch sein Lieblingsreiseziel), in Hamm, Berlin, München, Leipzig – von überall gibt es ein Selfie von ihm. Immer dabei ist sein Osnabrücker Ortsschild aus Pappe – denn man muss ja zeigen, wo man herkommt. In Berlin war er Ende August ebenfalls ganz vorn mit dabei, als Robert F. Kennedy Jr. (Kennedy-Neffe und bekennender Impfgegner) seine Rede an der Siegessäule hielt. Mit der Demo-Einschätzung nimmt es Frühauf dann doch nicht so genau: Am 01.08. seien es in Berlin 1,3 Millionen Teilnehmende gewesen, am letzten Wochenende in Leipzig sei alles friedlich verlaufen, ungeachtet der massenhaften Dokumentation der Beteiligung von Neonazis, dem militanten Durchbrechen von Polizeiabsperrungen und dem Werfen von Gegenständen auf Menschen (vornehmlich Journalist*innen). Seiner Meinung nach sei dies wohl einmal mehr eine Inszenierung der Mainstream-Medien.

Er ist der Ansicht, die Maskenpflicht sei eine Diskriminierung, beschwert sich über Kontrollen der Einhaltung ebendieser und kommentiert dies mit „diese Zeiten hatten wir schon mal in Deutschland“.

Öffentlichen Provokationen scheint er nicht abgeneigt zu sein. Er schlägt beispielsweise vor, Mitglieder der Gruppe sollen sich doch zum gemeinsamen Busfahren ohne Maske verabreden, „das gäbe doch spaßige Diskussionen“. Er ist also offensichtlich dazu bereit, andere Menschen in Gefahr zu bringen, nur um ein paar „Schlafschafe“, wie solidarische und wissenschaftlich argumentierende Menschen von ihm inflationär betitelt werden, aufzuwecken.

Auch wenn sich die „Bürgerbewegung Osnabrück“ [sic] selbst nicht offiziell der Organisation Querdenken angeschlossen hat, so ist Dirk Frühauf doch ein großer Fan dieser Bewegung und ihrer verschwörungsmythischen und rechtsoffenen Inhalte. Einer Gruppierung, die offen bekennende Reichsbürger, Rassist*innen und Rechtsradikale in ihrer Mitte akzeptiert und in die Funktion als Pressesprecher einsetzt.9

In Braunschweig hatte die Initiative „Querdenken 53“ für den 9. November – also am Gedenktag an die Novemberprogrome – eine Demonstration geplant, die erst nach massiver Kritik kurzfristig abgesagt wurde. Die Veranstaltung sollte unter dem Motto „Geschichte gemeinsam wiederholen“ stehen und um 18.18 Uhr beginnen.10 „Den Nazi-Code für Adolf Hitler habe man nur gewählt, weil die Uhrzeit so einprägsamer sei, heißt es auf der Homepage und den Social-Media-Kanälen des Bündnisses.“11

  1. Auszug aus dem Video „LIVE: C* – Demo Osnabrück – Eltern stehen auf – 17.10.2020 – Aktivist Mann vom Kanal Aktivist Mann 2.0 von Matthäus Westfal (https://www.youtube.com/watch?v=qi8874hIWkg, letzter Aufruf 07.11.2020) []
  2. https://rkowl.blackblogs.org/2020/09/23/aktivist-mann-sektierer-und-biologistischer-rassist-aus-owl/ []
  3. https://correctiv.org/faktencheck/2020/05/08/grosse-verschwoerung-zum-coronavirus-wie-ken-jebsen-mit-falschen-behauptungen-stimmung-macht/ []
  4. https://linksunten.indymedia.org/de/node/183696/ []
  5. https://www.waz-online.de/Nachrichten/Der-Norden/Tanja-Bojani-AfD-Kreistagsabgeordnete-wechselt-zur-Linken []
  6. Youtube Video Aktivist Mann 2.0 (https://www.youtube.com/watch?v=qi8874hIWkg, letzter Aufruf 07.11.2020) []
  7. https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/2116124/leitender-mitarbeiter-der-hochschule-osnabrueck-ein-corona-leugner []
  8. https://www.asta.uni-osnabrueck.de/news/2020-01/corona-leugner-verschwoerungsideologien-universitaet-und-hochschule []
  9. gemeint ist hier Stephan Bergmann: https://www.tagesspiegel.de/berlin/dokumentation-der-hass-den-stephan-bergmann-im-netz-verbreitete/26054768.html []
  10. https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Initiative-sagt-Anti-Corona-Demo-in-Braunschweig-ab,demonstration1018.html []
  11. https://taz.de/Nazi-Code-in-Demo-Ankuendigung/!5726931/ []